"Conversazione a..." - Folge 7: Tatorte

Italienische Krimis und deutsche Leser – eine unbekannte Liebe?
Über italienische Kommissare aus Deutschland und deutsche Übersetzungen aus dem Italienischen

In Amerika boomen Krimis, in England boomen Krimis, in Frankreich wahrscheinlich auch, in Deutschland boomen Krimis, eine Fernsehwoche ohne Tatort ist in Deutschland keine gelungene TV-Woche und in Italien boomen Krimis mindestens so stark wie in allen anderen Ländern. Viele Krimis, die in Deutschland gelesen werden, stammen natürlich auch aus anderen Ländern, z.B. Italien. Fragt man die Krimileser seiner Umgebung nach ihren Favoriten oder immer wieder gelesenen Autoren, so sind das selten italienische Autoren. Vielleicht liegt das daran, dass der deutsche Leser nicht erst zu einer Übersetzung greifen braucht, um sich nach Italien zu träumen oder doch eher zu gruseln. Donna Leon ist vielleicht das bekannteste Beispiel, doch auch unter deutschen Krimiautoren ist Italien ein beliebter Tatort. Das widerspricht durchaus dem „Tatort-Prinzip“, das seinen Erfolg auch den regionalem Setting und Ermittlerduo verdankt. Oder wer könnte sich Thiel und Boerne in einer anderen Stadt als Münster vorstellen. Kaum einer. Und jeder weiß andersherum sofort: Münster-Krimi? Thiel und Boerne natürlich. Das Phänomen Tatort Italien ist offensichtlich keines des Fernsehens, sondern ein Kennzeichen literarischer Krimis. Dazu zählen z.B. die Krimis von Petra Reski, die sich ausführlich mit der italienischen Mafia auseinandersetzt (Die Gesichter der Toten, Hoffmann & Campe, 2015) und Serena Vitale in Palermo ermitteln lässt. Oder die Krimis von Lenz Koppelstätter, der zuletzt Der Tote am Gletscher. Ein Fall für Commissario Grauner im Kiepenheuer & Witsch Verlag veröffentlichte. Populär sind auch die Krimis von Veit Heinichen, der ehemalige Geschäftsführer des Berlin-Verlages, der seinen Commissario Proteo Laurenti in Triest ermitteln lässt.

Tatort Italien bzw. Tatort und Italien also, das lieben die Deutschen. Doch warum stammen diese Krimis so selten aus der Feder von Italienern? In Deutschland ist außer Andrea Camilleri kein italienischer Krimiautor so wirklich bekannt. Dafür kennt das deutsche Publikum Commissario Brunetti wie keinen anderen, ein Krimi-Kommissar aus Venedig. Er ist die Hauptfigur in der Krimi-Serie von Donna Leon. Der amerikanische Autor hat damit weltweit Erfolg, in Italien kennt man ihn hingegen kaum. Was läuft da schief? Während wir also die italienischen Krimis nicht kennen, kennen die Italiener unsere italienischen Kommissare nicht. Dafür kann es nur einen Grund geben: Wir sprechen von zwei verschiedenen Italien. Weil wir den Krimi genauso lieben wie Italien und deshalb es nicht ertragen würden, wenn das eine dem anderen schaden würde, wenn also der Krimi unseren Traum vom schönen Italien zerstören würde. Daher lieben viele Leser Figuren wie Commissario Brunetti, die uns quasi nebenbei das wunderschöne Venedig zeigen, wo wir sowieso unbedingt mal hinwollen oder wo wir vielleicht schon waren. Das wir die italienischen Krimis viel weniger im Gedächtnis haben oder ihnen Eintritt gewähren liegt sicher daran, dass diese Krimis häufig von einem anderen und oft viel realistischeren Italien erzählen oder das Italien eben gar nicht so sehr zum Thema machen. Irgendwie logisch. Es geht ja auch um ein Verbrechen und nicht um die Urlaubsplanung. Nicht unsere Urlaubsplanungen, doch aber vielleicht unsere Lesegewohnheiten könnten oder sollten wir vielleicht ändern. Wir werden sehen, da gibt es bereits eine ganze Menge zu lesen.

Die italienischen Romane, die insgesamt auf dem deutschen Buchmarkt nur wenig vertreten sind, sind unterm Strich häufig Krimis. Also wenn italienische Literatur, dann gerne Krimis. Das ist sicher deshalb so, weil es in Deutschland und in der ganzen Welt jenen regelrechten Krimiboom gibt. Sind die italienischen Krimis vielleicht einfach gut sind? Wer sind die Autoren, die diese Krimis schreiben? Welche italienischen Städte werden für Krimis bevorzug gewählt? Wir gehen auf Spurensuche und stoßen auf eine ganze Menge italienischer Krimis, die in Italien übrigens „giallo“ heißen. 


https://speakworlds.wordpress.com/2014/08/16/giallo-non-e-solo-un-colore/
Das Genre des Krimis erhielt seinen Namen von einer Krimi-Reihe, die der Mondadori Verlag seit 1929 herausgab. Der Verlag veröffentlichte die Polizei-Thriller in einem gelben Einband, der schnell zum Markenzeichen für den italienischen Krimi überhaupt wurde. Und so nannte man das in Italien erst spät entstandene Genre „giallo“. Auf einem Blog des Mondadori Verlages können die Ausgaben seit 1929 bewundert werden: http://blog.librimondadori.it/blogs/ilgiallomondadori/ . Im Zweiten Weltkrieg versuchte Mussolini dann die Verbreitung des giallo durch Zensuren einzudämmen: Verbrecher durften nicht länger ungestraft davon kommen und der italienische Held durfte keinen Freitod wählen. Am interessantesten aber ist, dass die Mörder in den italienischen Krimis selbst keine Italiener sein durften. Klar, dass mit den Mördern auch die Kommissare abgewandert sind. Wenngleich es spekulativ bleibt, stellt diese historische Entwicklung des italienischen Krimis doch eine erstaunliche Pointe bereit, nämlich das italienische Kommissare und Gauner fortan aus Deutschland „geschickt“ werden. 1941 ließ Mussolini den giallo dann sogar gänzlich verbieten. Und so war der Krimi in Italien ein lange sehr unbeliebtes Genre. Er hatte es schwer sich erneut durchzusetzen, weil er als anspruchslose und poetisch minderwertige Literatur betrachtet wurde. Es ist schließlich der Verdienst von Andrea Camilleri, den italienischen Krimi in Italien wieder mehrheitsfähig gemacht zu haben, ohne dabei von der italienischen Literaturkritik auseinandergenommen zu werden. Camilleris Commissario Montalbano ermittelt übrigens in einer fiktiven Stadt, die der Geburtsstadt des Autors nachempfunden ist und auf Sizilien liegt. Nicht fiktiv verortet, aber auch nicht ganz aus unserer Zeit sind die gleich drei Kommissare von Carlo Lucarelli: Comissario De Luca ermittelt in den fünfziger Jahren in Bologna, ebenso in Bologna ermitteln Sovrintendente Coliandro und der aus Apulien versetzte Ispettore Grazia Negro. Lucarellis Krimis sind in Mini-Serien vom Fernsehen produziert worden und sind neben einzelnen Filmproduktionen sehr bekannt.
 http://blog.librimondadori.it/blogs/ilgiallomondadori/
Andrea Camilleri steht wie seine Kollegen Carlo Lucarelli und Antonio Mancini in der Tradition des Roman Noir, der sich aktuellen und brisanten Themen zuwendet, Klischees vermeidet, zuweilen innovative literarische Formen entwirft, sich aber ansonsten durch einen gemäßigten Realismus kennzeichnet, der Helden nicht beschönigt, aber den Teufel auch nicht an die Wand malt. Auffällig ist, dass in den letzten Jahren zunehmend Krimis nicht nur von Autoren, sondern auch von Richtern, Staatsanwälten und Polizisten geschrieben werden (z.B. Roberto Riccardi). Das ist ein Phänomen, das man in Deutschland weniger kennt – ausgenommen des Erfolges des Strafverteidigers Ferdinand von Schirach, dessen meist kurzen Geschichten um Schuld und Unschuld auch im Fernsehen erfolgreich sind.

Um die vielen italienischen Krimiautoren in Deutschland noch bekannter zu machen und zugleich zu zeigen, wie viele Übersetzungen italienischer Krimis in den letzten Jahren erschienen sind, schließe ich mit einem kleinen Überblick. Eine Auswahl (chronologisch sortiert)

2000
Carlo Lucarelli: Der trübe Sommer, Ein Fall für Comissario De Luca, Piper 2000.
Andrea Camilleri: Die Form des Wassers: Comissario Montalbanos löst seinen ersten Fall, Bastei Lübbe 2000. (Es erschienen nun jährlich ein Fall des Comissario Montalbano, die hier nicht alle aufgeführt werden, siehe 2015)
Santo Piazzese: Das Doppelleben der M. Laurent, DuMont 2000.
Sandrone Dazieri: Ein Gorilla zu viel, grafit 2000.

2001
Giuseppe Ferrandino: Respekt. Oder Pino und Pentecoste gegen die Maulhelden, Suhrkamp 2001.
Giorgio Scerbanenco: Die Verratenen, Kremayr & Scheriau 2001.
 
2003
Andrea Isari: Römische Affären, Piper 2003.
Giorgio Scerbanenco: Das Mädchen aus Mailand, btb 2003.
Carlo Lucarelli: Die schwarze Insel, Piper 2003.


2004
Giorgio Scerbanenco: Der lombardische Kurier: Ein Duca-Lamberti-Roman, btb 2004.
Giorgio Scerbanenco: Ein pflichtbewusster Mörder, btb 2004.
Nicolo Ammanti: Ich habe keine Angst, Goldmann 2004.
Carlo Lucarelli: Laura di Rimini, DuMont 2004.


2005
Giorgio Faletti: Ich töte, Goldmann 2005.

2006
Mario Soldati: Die Fälle des Maresciallo, Wagenbach 2006.
Giulio Leoni: Dante und das Mosaik des Todes, 2006.  

Gianrico Carofiglio: Reise in die Nacht: Ein Fall für Avvocato Guerrieri 1, Goldmann 2006.

2007
Massimo Carlotto: Arrivederci amore, ciao, Tropen 2007.

2008
Massimo Carlotto: Die dunkle Unermesslichkeit des Todes, Tropen 2008.
Gianrico Carofiglio: Im freien Fall: Ein Fall für Avvocato Guerrieri 2, Goldmann 2008.

2009
Leonardo Sciascia: Jedem das Seine. Ein sizilianischer Kriminalroman, Wagenbach 2009.
Maurizio De Giovanni: Der Winter des Comissario Riccardi, Suhrkamp 2009.

Gianrico Carofiglio: Das Gesetz der Ehre: Ein Fall für Avvocato Guerrieri 3, Goldmann 2008.

2010
Emma Dante: Mitternacht in Palermo, Luchterhand 2010.
Maurizio De Giovanni: Der Frühling des Comissario Riccardi, Suhrkamp 2010.
Massimo Carlotto: Der Flüchtling, Tropen 2010.


2011
Carlo Lucarelli: Schutzengel, Köln: DuMont 2011.  
Sandro Veronesi: XY, Klett-Cotta 2011.
Maurizio De Giovanni: Der Sommer des Comissario Riccardi, Suhrkamp 2011.


2012
Roberto Costantini: Du bist der Böse, Bertelsmann 2012. Giancarlo De Cataldo, Mimmo Rafele: Zeit der Wut, Folio Verlag 2012. Massimo Carlotto: Tödlicher Staub, Tropen 2012.
Giorgio Faletti: Der Frauenhändler, Goldmann 2012.


2013
Gianpaolo Sinni: Vater. Mörder. Kind, C. Bertelsmann 2013.
Giorgio Faletti: Falsches Spiel, Goldmann 2013. 
 Massimo Carlotto: Die Marseille-Connection, Tropen Verlag 2013.
Giancarlo De Cataldo: Der König von Rom, Folio Verlag 2013.
Diego De Silva: Meine Schwiegermutter trinkt, Luchterhand 2013.


2014
Carlo Lucarelli: Bestie, Thriller, Folio Verlag 2014.
Maurizio De Giovanni: Das Krokodil, Kindler 2014.
Maurizio De Giovanni: Die Versuchung des Comissario Ricciardi, Insel 2015.


2015
Giorgio Fontana: Tod eines glücklichen Menschen, Nagel und Kimche 2015.
Sandrone Dazieri: In der Finsternis, Piper 2015.
Carlo Bonini, Giancarlo De Cataldo: Suborra. Schwarzes Herz von Rom, Folio Verlag 2015.
Davide Longo: Der Fall Bramart, Rowohlt 2015.
Gianrico Carofiglio: Am Abgrund aller Dinge, Goldmann 2015.
Maurizio De Giovanni: Die Gauner von Pizzofalcone, Kindler 2015.
Maurizio De Giovanni: Die Klagen der Toten: Ein Fall für Comissario Ricciardi, Goldmann 2015.  
Marcello Fois: Schwestern: Die alte Geschichte, Wagenbach 2015.  
Andrea Camilleri: Das Lächeln der Signora: Comissario Montalbano lässt sich blenden, Bastei Lübbe 2015.


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