Giuseppe Tornatore – "Nuovo Cinema Paradiso" (1988)
Cinema paradiso – paradiesisches Kino, davon erzählt
dieser Film: vom Kino als Ort der Träume und Hoffnungen, vom Kino als Ort der
lebendigen Fantasie mit dem wir uns das Paradies erträumen und als ein solches
wir das Kino als Erlebnisort zugleich erleben. Das Kino ist auch ein Ort der
Geschichte, in diesem Fall der Geschichte Siziliens.
Im Mittelpunkt des Films stehen ein Dorf Siziliens und
die Geschichte seines Kinos von den vierziger Jahren bis heute. In Rückblenden
erzählt der Film die Kindheit des Filmregisseurs Salvatore Di Vita („Toto“) im
sizilianischen Fischerdorf Giancaldo. Die erste Einstellung zeigt den berühmt
gewordenen Regisseur im Rom der achtziger Jahre. Als er nach Hause zurückkehrt,
berichtet ihm seine Freundin, dass seine Mutter aus Sizilien angerufen habe, um
zu erzählen, dass der alte Filmvorführer Alfredo aus dem Kino in Giancaldo
gestorben sei. Bestürzt kehrt Salvatore in seine Heimat nach Sizilien zurück
und nimmt an der Beerdigung von Alfredo teil. Damit ist die Rahmenhandlung für
die Erzählung seiner Kindheit beschrieben, die Salvatore als Halbwaise zum
großen Teil in jenem Kino Alfredos, das tatsächlich „cinema paradiso“ hieß,
verbracht hat. Alfredo war durch einen Brand im Kino erblindet und Salvatore
begann als kleiner Junge im wiederaufgebauten Kino Alfredo unter die Arme zu
greifen. Dort wuchs seine Liebe zum Kino und entfaltete sich seine Kenntnis vom
Film als Medium und Material. „Toto“ lernt die Praxis der Filmvorführung, wie
Filme geschnitten und im wahrsten Sinne des Wortes ins Rollen gebracht werden.
Jetzt, da sein väterlicher Freund Alfredo gestorben ist, ist Salvatore von der
Rolle, in ihm spielt sich ein Film ab, während wir ihn im Film sehen und die
Erinnerungen an die Filme der Kindheit. Das Motiv des Filmes potenziert sich
folglich auf mehreren Ebenen, der materiellen, der emotionalen, mentalen etc.
Alfredo hatte in Totos Kindheit schnell das Talent des Jungen erkannt, bedachte
aber auch seine Chancenlosigkeit auf Sizilien. Er drängte ihn daher dazu, seine
Heimat zu verlassen, sich nicht an die unglückliche Liebe zur unerreichbaren
Elena, einer Bankierstochter, zu hängen und stattdessen aus seiner Liebe zum
Film etwas zu machen und in die große, weite Welt zu ziehen. Als Salvatore
anlässlich Alfredos Tod zurückkehrt, ist alles anders als es mal war. Das Nuovo
Cinema Paradiso, das Kino im Ort, steht leer und soll abgerissen werden,
damit dort Parkplätze gebaut werden können. Einziges Überbleibsel des Kinos und
seiner Geschichte ist eine Filmrolle mit aneinandergereihten Kuss-Szenen, die
Alfredo einst auf Geheiß des Dorfpfarrers über die Jahre aus den Filmen hatte
schneiden müssen und die er nun Salvatore hinterließ. Die eigentlich traurige,
tragische Realität verbindet der Regisseur Tornatore folglich erzählerisch mit
einem der Realität innewohnenden Witz. Das Paradies ist nur in diesen
ironischen Schnipseln in der materiellen Wirklichkeit zu retten. Der
politischen und praktischen Interessen geleiteten Realität fällt das Nuovo
Cinema Paradiso jedoch zum Opfer, einer Realität, in der im wahrsten Sinne
des Wortes kein Raum für Illusionen, Träume und Paradiese ist, wenn wir sie
nicht erhalten und erinnern. Und eine solche Erinnerung ist dieser Film und
seine Geschichte.
Giuseppe Tornatore, der diesen Film 1988 drehte, wuchs
selbst in den vierziger und fünfziger Jahren in dem kleinen Ort Bagheria in
Sizilien auf, bis er den Ort seiner Kindheit und Jugend verließ, um die Liebe
zum Film zum Beruf zu machen. In dieser Konstellation stimmt der Regisseur mit
seinem Protagonisten Salvatore vollständig überein, der im so genannten
Giancaldo aufwächst, für das jedoch Bagheria als Drehort diente. Doch nicht nur
die autobiographischen Züge des Stoffes machen es reizvoll, diesen Film
anzusehen. Es ist auch die unterhaltsame und fantasievolle Verknüpfung der
Erzählung eines Werdeganges eines italienischen Jungen bzw. Regisseurs mit der
Geschichte des Kinos selbst. Der Zuschauer erfährt einiges über das Kino in
Giancaldo wie über den Wandel des Medium Film und das Filmeschauen im
Allgemeinen. Insbesondere die Szenen, in denen es um konkrete Filmvorführungen
geht, nutzt der Regisseur, um auf Filmklassiker der Kinogeschichte zu
verweisen: Renoirs Les Bas-Fonds (1936), Fellinis I Vitelloni (1953),
Chaplins Knockout (1914) oder Viscontis La terra trema (1948).
Der Film arbeitet mit dieser postmodernen Erzählweise, mit der er zugleich
seine moderne und revolutionäre Traditionslinie beschreibt: Sind die Filme
Fellinis und Viscontis Meilensteine des neorealistischen Kinos, dass sich
revolutionär gegenüber der Tradition und Moderne gleichermaßen absetzte, kann
Renoir als moderner Wegbereiter dieses Kinos bewertet werden. Mit Chaplin
wiederum geht er noch weiter in die Filmgeschichte zurück und verweist auf ein
Vorbild für das episodische Storytelling und das moderne Kino der zwanziger
Jahre. Diese Filmauswahl ist jedoch nicht nur eine intellektuelle Entscheidung,
sondern lässt sich auch ästhetisch begründen: so spielt Viscontis La terra
trema ebenso in einem Fischerdorf, in dem der Sohn der verarmenden
Fischerfamilie mit den Leporello einiger Fotos einen Ort zum Träumen findet.
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Giuseppe Tornatore, Università degli Studi di Salerno |
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| 2009 |
Nuovo Cinema Paradiso gewann 1989 auf dem Filmfestival in
Cannes den großen Preis der Jury und den Europäischen Filmpreis, 1990 erhielt
Giuseppe Tornatore für diesen Film den Oscar als bester fremdsprachiger Film.
Giuseppe Tornatore ist einer der wichtigsten Regisseure Italiens. Neben Nuovo
Cinema Paradiso gehören zu seinen wichtigsten Filmen L'uomo delle
stelle (Der Mann, der die Sterne Macht) aus dem Jahre 1995, der neun
Filmpreise erhielt und ebenfalls auf Sizilien spielt, und Baarìa - La porta
del vento aus dem Jahre 2009. Alle, die Filme ebenso wie Italien oder
insbesondere Sizilien lieben, finden in diesem Film einen Klassiker des
italienischen Films, den es unbedingt zu kenne und zu sehen gilt, nicht
zuletzt, damit wir nicht vergessen, dass wir das Paradies auf Erden haben, wenn
wir es entdecken können und erhalten wollen.
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