Neben dem Ruhm erhielt Saviano nämlich Morddrohungen, weshalb Umberto Eco 2006 appellierte für seinen Personenschutz zu sorgen, den das Innenministerium noch im selben Jahr umsetzte. Seitdem aber lebt Saviano versteckt an immer wieder wechselnden Orten – irgendwo, mehr darf die Öffentlichkeit nicht erfahren. Ein normales Leben ist damit für ihn unmöglich. Kein fester Wohnsitz, kein Familienalltag, kein Berufsalltag, kein entspannter Urlaub, keine Freiheit - immer auf der Flucht. Und während die Mafia in Italien im Kreise der Familie und von der Heimat aus in die ganze Welt ausstrahlend ihre Machenschaften immer weiterreiben kann, muss Roberto Saviano sein Leben für die Täter opfern. In der Konsequenz bedeutet das, dass nicht die eigentlichen Täter in ihrer Freiheit eingeschränkt werden, sondern das Saviano das unfreie und versteckte Leben eines verfolgten Täters führen muss. Die Kriminellen haben damit den Demokraten kriminalisiert. Wer hier also wen jagt, ist eine Frage, auf die es leider keine einfachen Antworten gibt. Recht und Unrecht laufen auf derselben Straße, aber in völlig verschiedene Richtungen. Und Gerechtigkeit ist viel komplexer, als sie ein Rechtsstaat vertreten kann. So wie Saviano die Bekämpfung der Mafia immer wieder gelungen ist, ist es der Mafia gelungen, die Werte einer demokratischen Gesellschaft anzugreifen und zu gefährden. Und warum? Weil die wahren Täter ein Netz von Lobbyisten in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft haben, dass in der demokratischen Gesellschaft funktioniert, weil die Nutznießer der Demokratie und freien Marktwirtschaft die organisierte Wirtschaftskriminalität mitträgt. Die Mafiosi sind keine bewaffneten Streuner, sondern Unternehmer in feinen Anzügen, Geschäftsleute, mächtige Einflussgrößen der Wirtschaft. Will man sie besiegen, muss man das ökonomische System „fundamental ändern“ – so Saviano kürzlich in einem Interview mit Ulrich Ladurner von der Wochenzeitung Die Zeit (15.10.2015, Nr. 42, S. 51).
„Dieses Buch hat mein Leben zerstört.“
Roberto
Saviano, der in Neapel Philosophie studierte und als freier
Schriftsteller und Journalist leben wollte, hat in einem Interview mit
der Süddeutschen Zeitung 2008 von seinen Zweifeln erzählt: „Jeden Morgen
frage ich mich, warum ich das gemacht habe, und finde keine Antwort,
weiß nicht, ob es das wert war.“ (SZ, 14.10.2008) Gegenüber der Welt am
Sonntag äußerte Saviano: „Dieses Buch hat mein Leben zerstört. Es ist
wichtig zu berichten, keine Angst zu zeigen, sich nicht zum Schweigen
bringen zu lassen. Aber genauso wichtig ist es, seine Straße zum Glück
zu verteidigen. Ich weiß nicht einmal mehr, wie ich das finden soll. Ich
leben ja völlig isoliert von meinen Mitmenschen“ (Welt am Sonntag,
26.05.2013). Und Saviano hat weitergeschrieben, bis heute. Er versteht
sich dabei selbst als Schriftsteller, der journalistisches Material in
nicht-fiktionale Literatur verwandelt. Folgende Bücher Savianos sind auf
diese Weise entstanden und von Friederike Hausmann und Rita Seuß ins
Deutsche übersetzt worden: Il contrario della morte (Corriere della
Sera, Mailand 2007)/Das Gegenteil von Tod (Hanser, München 2009); La
bellezza e l’inferno. Scritti 2004–2009 (Mondadori, Mailand 2009)/Die
Schönheit und die Hölle – Texte 2004–2009 (Suhrkamp, Berlin 2010); Vieni
via con me (Feltrinelli, Mailand 2011)/Der Kampf geht weiter:
Widerstand gegen Mafia und Korruption (Hanser, München 2012). Zuletzt
erschien ZeroZeroZero (Feltrinelli, Mailand 2013) 2014 in der
gleichnamigen deutschen Übersetzung von Rita Seuß und Walter Kögeler im
Hanser Verlag in München. Doch Saviano hat nicht nur weiter geschrieben,
auch an seiner Isolation hat sich bis heute nichts geändert. Seitdem
bekannt wurde, dass die Comorra ihn noch im selben Jahr bis Weihnachten
auf der Autobahn in die Luft sprengen wollte, weigern sich Fluglinien,
Saviano zu befördern oder Hotels, ihn zu beherbergen. Die
Nobelpreisträger Günter Grass, Dario Fo, Michail Gorbatschow, Orhan
Pamuk, Rita Levi-Montalcini und Desmond Tutu forderten in einem
öffentlichen Appel die italienische Regierung dazu auf, Saviano noch
besser zu schützen.
"Die Wirklichkeit übertrifft bei Weitem die Vorstellungskraft."
Nach einer langen internen Debatte der Schwedischen Akademie, die den Nobelpreis verleiht, entschied sich diese, ihre politische Neutralität aufzugeben und Saviano und Salman Rushdie zu einer Diskussion über "Das freie Wort und die gesetzlose Gewalt" nach Stockholm einzuladen. Saviano arbeitet weiterhin als Schriftsteller und "freier" Journalist für die italienische Zeitschrift L'Espresso und für die Tageszeitung Il Manifesto und Corriere della Sera. Im Jahre 2010 moderierte er die sehr erfolgreiche vierteilige Sendung Vieni via con me (Komm weg mit mir) des Senders Rai 3. Darin lasen prominente Persönlichkeiten sowie das Moderatoren-Duo Saviano und Fabio Fazio Listen zu verschiedenen, kontroversen Themen vor, die mit Daten der aktuellen Gegenwart korreliert wurden, um die Evidenz dieser politischen und gesellschaftlichen Probleme aufzuzeigen. Abwechslung fand diese Lesung durch verschiedene eingeladene Gäste, Sänger, Schriftsteller und andere Künstler. Bis heute bereut Saviano sein Buch Gomorrha veröffentlicht zu haben. Warum? Weil die Camorra sich verändert hat: "Die Camorra von heute ist noch viel gefährlicher als die aus dem Jahr 2006." (Die Zeit, 15.10.2015). Man sollte sich also keinen falschen Illusionen hingeben, denn so Roberto Saviano in demselben Interview: "Die Wirklichkeit übertrifft bei Weitem die Vorstellungskraft."
Die Mafia lebt, in jeder Sekunde
von gestern, heute bis morgen, überall, nicht nur in Italien. Doch das ist eine
andere Geschichte, von der ich euch das nächste Mal erzählen möchte. Bis dahin
empfiehlt euch Italienreport die Bücher von Roberto Saviano und zum Einstieg
ein paar Interviews und Webseiten: