Liebe
Italienreport-Leser!
Kurz
nach dem Erscheinen der Longlist für den Deutschen Buchpreis, der jährlich auf
der Frankfurter Buchmesse vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels verliehen
wird, habe ich euch in einer Sonderausgabe des "giornale poetice" von
Ralph Dutli erzählt. Wie versprochen, möchte ich euch heute von seinem für den
Buchpreis vorgeschlagenen Roman Die Liebenden von Mantua Näheres
berichten, weil dieser Roman in Anlehnung an einen wahren archäologischen Fund
im norditalienischen Mantua spielt. Mit Dutli und seinem Roman haben wir also
wieder ein Werk gefunden, dass für Italienreport interessant ist. Doch
werfen wir vorher noch einen kurzen Blick auf die Shortlist, die die Jury für
den Deutschen Buchpreis zusammengestellt hat:
Jenny
Erpenbeck: Gehen, ging, gegangen, Knaus Verlag
Rolf
Lappert: Über den Winter, Hanser
Inger-Maria
Mahlke: Wie ihr wollt, Berlin Verlag
Ulricht
Peltzer: Das bessere Leben, S. Fischer
Monique
Schwitter: Eins im Andern, Droschl
Frank
Witzel: Die Erfindung der Roten Arme Fraktion durch einen
manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969, Matthes & Seitz
Und
Ralph Dutli? Der hat es leider nicht auf die begehrte Shortlist geschafft. Aber
damit ist er nicht alleine: Auch Feridun Zaimoglu, Clemens J. Setz und Illja
Trojanow sind nicht dabei. Kein Grund für uns, uns Ralph Dutlis Roman nicht
trotzdem ein wenig aus der Nähe anzusehen.
Ralph
Dutli: Die Liebenden von Mantua, Wallstein 2015
Der
Ausgangspunkt des Romans ist klar, das Thema auch, beides verrät bereits der
Titel: Es geht um einen archäologischen Fund in Mantua (eigentlich Valdaro in
der Nähe von Mantua) und um die Liebe. Das Titelbild ist schön, die Blumen
machen nicht viel Sinn, ihre Anordnung hingegen schon, sie spielt auf die Pose
der zwei Skelette aus der Jungsteinzeit an, die in Mantua (bzw. Valdaro) im
Jahre 2007 sich umarmend in einem gemeinsamen Grab gefunden wurden (im letzten
Beitrag von "Cronaca di un amore" habe ich davon bereits berichtet).
Die Pose der originalen Skelette ist jedoch einander zugewandt und nicht wie
auf dem Titelbild dieses Romans voneinander abgewandt. Wer sich mit dem
Titelbild beschäftigt, kann also einen ersten spannenden Hinweis darauf
erhalten, dass es hier um mehr als um die Dokumentation eines archäologischen
Befund geht: Es geht um die Liebe und die ist bekanntlich kompliziert.
Das
Ereignis in Mantua ist Anlass, wieso die beiden Protagonisten des Romans nach
Mantua reisen und sich dort zu Beginn des Romans zufällig begegnen. Ihre
Zufallsbegegnung ist so besonders, weil beide alte Freunde aus Studienzeiten in
Paris sind, die sich nun nach vielen Jahren wiedertreffen.
Raffa,
Journalist und Manu, Schriftsteller verabreden sich für den nächsten Tag, doch
Manu taucht nicht auf. Raffa wartet, glaubt sich anfangs noch mit dem Tag der
Verabredung vertan zu haben, bis er zu Manus Hotel geht um ihn aufzusuchen.
Dort steckt ihm Lorena einen Zettel zu mit der Botschaft, ihn am Abend treffen
zu wollen. Lorena ist eine junge, studierte Archäologin, die im Hotel jobbt und
die Entführung von Manu beobachtet hat. Es folgen eine Reihe weiterer Treffen,
denn Raffa hofft, über Lorena noch mehr über Manus Verschwinden zu erfahren.
Lorena erzählt Raffa von ihrer Arbeit, führt ihn durch das Mantua der
Renaissance und das Mantua Mantegnas und eröffnet Perspektiven auf die Risse
der Geschichte, die nicht erst mit dem Erdbeben entstanden, sondern
beispielsweise bereits als Mantegna zwei Fenster im Herrscherpalast der Gonzaga
versetzen ließ, damit mehr Licht auf seine Bilder falle. Lichtvoll, mit
"sanften Lichtwellen" (Dutli, S. 51) wird auch der zweite
Handlungsstrang eröffnet. Parallel zu den Begegnungen von Raffa und Lorena
entfaltet sich der Handlungsstrang um Manu, der auf dem Landsitz des Grafen
Ignoto erwacht und sich in einer völlig fremden und unbekannten Welt
wiederfindet. Er fühlt sich wie aus der Zeit gefallen, als habe er einen großen
"Sprung in den Pool der Zeit" (Dutli, S. 57) gemacht. Es folgt der
Monolog des Conte Ignoto über Religion, Enttäuschungen und Legendenbildungen.
Aus der Anwiderung durch das christliche Symbol des Kreuzes entstand die Suche
Graf Ignotos nach einer neuen Religion und einem neuen Symbol der Liebe. Er
findet dieses Symbol in jenem archäologischen Fund der "Liebenden von
Mantua", die er gestohlen hat und auf seinem Landsitz versteckt hält.
Manu, der von den Wächtern Massimo und Salvatore bewacht wird, bewegt sich in
einer Welt zwischen Traum und Wirklichkeit, gerät in ein Spiel der Identität
als er eines Nachts von seinem Freund Raffa träumt. Dieser erscheint ihm in
seinem Freund als Rückkehrer aus Haiti, der sich auf den Stuhl neben Manus Bett
sitzt, während es im Zimmer an zu schneien beginnt. Wenngleich der Schneefall
im Traumzimmer poetische Qualität hat und mit der Reflexion von Autorschaft und
Romanschreiben verbunden wird, erscheint der Roman nicht nur an dieser Stelle
sehr konstruiert. Die Handlung entwickelt sich langsam, allein die ersten dreißig
Seiten des rund 270 Seiten umfangreichen Buches handeln von der Wiederbegegnung
der beiden Freunde. Doch das ist gar nicht der entscheidende Punkt.
Es
ist wie immer Geschmacksache: Die story ist gut, die Vision verlockend, die
Metaphern zuweilen "così così" - so "lala" würde man auf
Italienisch sagen. Oder wie soll man das finden, wenn eine Verabredung zwischen
Raffa und Lorena mit folgendem Metaphernspiel beschrieben wird:
"Märchenhaftes Mandelhörnchen trifft sakralen Espresso" (Dutli, S.
58). Das muss einem gefallen, um es gut zu finden und genau das ist das
Problem. Erstens es gefällt mir nicht und zweitens ist ein wirklich gutes Buch
nicht darauf angewiesen, dass es einem anderen gefällt oder nicht, weil es
keine Geschmacksfrage ist, sondern unabhängig davon Qualität beweist. Die
Sprache wirkt manchmal etwas zu konstruiert, manchmal etwas zu genau, manchmal
etwas zu interpretatorisch, zu viel. Würde ich Herrn Dutli einen Rat geben
dürfen, ich würde ihm vorschlagen, seine Bilder zuweilen etwas mehr für sich
selbst sprechen zu lassen, gerade das ist ja das schöne an der Poesie, dass sie
sich nicht selbst erklärt und erklären muss. Dass das Erdbeben in Mantua, das
ein Jahr zurückliegt und weshalb Raffa (im Unterschied zu Manu) eigentlich hier
ist, eine Metapher für die Eruptionen des Lebens und in der Liebe sein kann,
hätte der Leser auch ohne die deutlichen Hinweise Dutlis erkannt. Da mir das
Lesen dieses Buches zwar keine Mühe, aber viel Muße abverlangt hat, die ich für
dieses Buch nur schwer aufbringen konnte, hat es vermutlich auch so lange
gedauert, bis ich euch endlich wieder einen Kommentar auf Italienreport zukommen
lasse. Plant also Zeit ein, lest und entscheidet selbst!
Bis
demnächst,
eure
Italienreport-Redakteurin Friederike Römhild
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