Fabio Geda: Im
Meer schwimmen Krokodile, Eine wahre Geschichte,
München: btb
10. 08. 2015, 224 Seiten, 8,99 €.
|
btb (links), italienische Erstausgabe (Mitte), Reclam (rechts) |
Vor zwei Wochen habe ich Euch alle Titel italienischer
Literatur in deutscher Übersetzung zusammengestellt, die im August erscheinen
(schaut nochmal im "lessico famigliare" unter
"Neuerscheinungen" nach!) und versprochen, dass wir eines dieser
Bücher besprechen wollen. Heute ist es soweit: Die Neuauflage von Fabio Gedas
Im Meer schwimmen Krokodile erscheint heute in einer wunderschönen Ausgabe des
btb Verlages. Ihr kennt sie alle, diese kleinen handlichen Bücher im
Hardcover-Umschlag mit wunderschön bedrucktem Glanzleinen und Lesebändchen. Um
einiges dicker, im Falle Fabio Gedas ganze fünfzig Seiten, aber so klein, dass
es in jedes Handgepäck passt und so schön, dass man es in jedem Bücherregal
ausstellen oder gleich dem besten Freund oder der besten Freundin schenken
möchte.
Wenn es sich in diesem Fall auch nicht um eine tatsächliche Neuerscheinung,
sondern eine Neuauflage in neuem Format handelt (erstmals erschien die
Geschichte bereits 2011), ist sie gefundener Anlass noch einmal an dieses sehr
lesenswerte Buch zu erinnern. Angesichts der aktuellen Flüchtlingsbewegungen im
Mittelmeerraum ist diese Geschichte, die obendrein auf einer wahren Begebenheit
beruht, einmal mehr von großer Brisanz für uns Leser von heute. Fabio Geda
erzählt nämlich die Geschichte des zehnjährigen Afghanen Enaiatollah Akbari
(Enaiat genannt), der nachdem ihn seine Mutter in Pakistan allein zurücklässt,
sich bis nach Italien durchschlägt. Sein Vater war LKW-Fahrer und wurde bei
einer Fahrt im Gebirge überfallen und getötet. Seine Arbeitgeber hatten ihm
zuvor gedroht, dass wenn er die Waren aus dem Iran nicht unbeschadet besorge,
man seine Familie umbringe. Nach seinem Tod forderten sie von seiner Frau,
Enaiatollahs Mutter, zunächst Schadensersatz. Als der Onkel Enaiatollahs ihnen
nicht mehr weiterhelfen kann, beschließt die Mutter mit ihrem Sohn zu fliehen.
In einer Herberge in Pakistan lässt sie ihren Sohn zurück und kehrt nach
Afghanistan zurück. Enaiatollah arbeitet zunächst in der Herberge, in der er
mit der Mutter noch übernachtet hatte, bis er seine Reise durch den Iran, die
Türkei und Griechenland bis nach Italien antritt. In Italien strandet er in
Venedig und schlägt sich bis nach Rom durch: „Please Rome, please Rome“ ist die
Formel, mit der der kleine Junge sich zu verständigen versucht und dabei immer
wieder mit Missverständnissen und Unverständnis zu kämpfen hat. Der Junge
erreicht sein Ziel, einen Ort, an dem er bleiben will:
Wie findet man einen Ort, an dem man sich
weiterentwickeln kann, Enaiat? Woran erkennt man ihn?
Daran, dass man nicht mehr weggehen will. Aber
bestimmt nicht daran, dass er perfekt wäre. So etwas wie einen perfekten Ort
gibt es nicht. Aber es gibt Orte, an denen man wenigstens in Sicherheit ist. (Seite 169)
Und wie passt das alles nun zu unserer Turiner Woche?
Ganz einfach: Erstens ist Enaiats Reise in Rom noch nicht zuende: auf dem Weg
in sein zweites Leben tragen ihn am Ende die Worte "scindere Torino,
scindere Torino". Und zweitens wurde Fabio Geda 1972 in Turin geboren, wo
er bis heute lebt und wo er den Protagonisten seiner Erzählung im Anschluss an
eine Lesung kennengelernt hat. Dass es sich um eine wahre Geschichte handelt,
verrät nicht nur der Untertitel, sondern zeigt auch die erzählerische
Konstruktion an. Immer wieder wird die Erzählung von kursiv gedruckten Passagen
unterbrochen, in denen der Protagonist Enaiat mit dem Autor Fabio in ein
direktes Gespräch tritt, um darüber zu diskutieren und zu reflektieren, was den
Leser an Wissen vermittelt werden muss, um Vorurteile zu bekämpfen, z.B. dass nicht
alle Afghanen Talibane sind: "Wir werden das ein für alle Mal klarstellen,
Enaiat", spricht die Stimme des Autors. "Das ist mir sehr wichtig,
Fabio", betont der Protagonist und Erzähler Enaiat. Keineswegs entspricht
dieser Text einem nüchternen Bericht, nein, das Reale bricht vielmehr in eine
literarische Erzählung ein, die zuweilen ganz poetische Züge annimmt, z.B. wenn
sich Enaiat an seine Heimat erinnert: "Und dann die Sterne, jede Menge
Sterne. Der Mond. Ich weiß nocht, wie wir manchmal im Freien bei Mondschein
aßen, um Petroleum zu sparen." (Seite 22) Und genau diese Mischung von
Wahrhaftigkeit und Poesie macht Gedas Geschichte so lesenswert, spannend und
bewegend.
Geda studierte zwar Kommunikationswissenschaft,
bevorzugte nach seinem Studium aber eine Tätigkeit als Sozialarbeiter im
Jugendbereich, die er zehn Jahre ausübte und die auf seine Tätigkeit als Autor
Einfluss genommen hat, wenn sein Schreiben auch nicht als autobiographisch
einzustufen ist. Geda ist Mitarbeiter verschiedener Tages- und Wochenzeitungen
und in der so genannten "Scuola Holden", einer Schule für Erzähler,
die 1994 vom italienischen Schriftsteller Alessandro Baricco in Turin gegründet
wurde.
Seit seinem Debüt Per il resto del viaggio ho
sperato agli indiani 2007 beschäftigte sich Geda in seinen Texte mit
Jugendlichen bzw. Kindern. Im Anschluss an den Erfolg von Im Meer
schwimmen Krokodile in Deutschland wurde auch Gedas Debütroman ins Deutsche
übersetzt (Emils wundersame Reise, 2012) sowie L'estate alla
fine del secolo (2011)/ Der Sommer am Ende des Jahrhunderts (2013).
Fabio Geda hat für sein Werke bereits mehrere Preise erhalten.
Fabio Geda: Im Meer schwimmen Krokodile, Eine wahre Geschichte, München: btb
10. 08. 2015, 224 Seiten, 8,99 €.
Labels: lessico famigliare - Neuerscheinungen, Startseite